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Susanne Rockweiler

Text zum Beitrag Martin Hoffmanns
im Rahmen des Kunstprojektes »3x10 Unsere Zukunft neu denken«
anlässlich des 30. Jahrestages des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland
am 17. - 19. September 2020 auf dem Luisenplatz in Potsdam

siehe aktuell 2020

Gestückelte Biografien – Schichten – zusammengetzte Identitäten

Stillstand gibt es nicht! (1) - Martin Hoffmann (* 1948, Halle/Saale) setzt sich in seinen Collage-Arbeiten auf formaler wie inhaltlicher Ebene mit Fragen nach Identitätsbildung auseinander. Soziale Interaktionen, sozio-politische Umbrüche sowie geografische (Neu)Verortung und gesellschaftliche Zugehörigkeit nehmen Einfluss auf Lebensläufe und Schicksale von Menschen. 40 Jahre prägte die ehemalige DDR eine Kultur. Mit ihrer Auflösung ist Disparität bis heute spürbar.
Was Roger Willemsen in seinem literarischen Essay Der Knacks (2) als Phänomen oder Moment bezeichnet, in dem das Leben, sei es durch äußere Umstände oder neu gebildete Haltung, die Richtung wechselt und nichts mehr so ist, wie es war – zeigt sich auch bei Hoffmann im Begriff der Zerrissenheit als zentrales Thema seiner Arbeiten.
Aus mit dunklem Acryl bearbeitetem Sperrholz – bei dem meist ein Moll-Ton mitschwingt - treten helle Kopfsilhouetten hervor, die für die Überlagerungen aus gerissenen Pergaminpapier-Fetzen formgebend sind.
Die flickenartige Schichtung moduliert Gesichter, denen er sich ohne Vorstellung nähert. Es entsteht eine Bewegung. Wie Krakelüren eines Ölgemäldes stehen die feinen Narben der Papierübergänge viel mehr für die stillen, subtilen als die harten Brüche der Biografien. Schicht für Schicht legt sich das Leben auf ihnen ab, Erwartet der Betrachtende starke Charakterzüge, die den Köpfen Ausdruck verleihen, wird er enttäuscht.
Ohne klare Umrisse bleiben die Portraits diffus, alterslos. Wer sie sind, bleibt offen, der Prozess der Annäherung nie beendet.
Mit zartem, durchscheinendem Pergamin haben seine Werke dennoch etwas Bildhauerisches von „zarter Monumentalität“.(3)
Mal fragend, mal traurig, mal verzweifelt über den Stillstand - suchen sie einen Blick, ein Gegenüber. Ein Augenpaar, das sich traut, Kontakt aufzunehmen. Vielleicht liegt die Scheu des Anschauens in den Einflüssen und Erfahrungen des vorherigen und des jetzigen Jahrhunderts.
Martin Hoffmann schafft eine Projektionsfläche auf mehreren Ebenen. Im Kubus lädt er ein, sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen. Überleitung hierfür bietet eine Hilfskonstruktion aus in Kopfform arrangierten Spiegelscherben, umringt von Fragen. Es entsteht eine Wechselbeziehung zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachterinnen und Betrachtern. Eine Toncollage aus Geräuschen von Papier-Reíßen und -Ankleben unterstreicht Gefühle der Zerrissenheit und Unsicherheit. Beim Blick in den Spiegel sieht man sein Antlitz zersprungen. Der Künstler unterbricht das erwartete Selbstbild und öffnet somit den Raum für die erneute Begegnung mit sich selbst. Der Betrachtende ist angehalten, die eigenen Teile wieder zusammenzusetzen, sie anzureichern mit neuen Erkenntnissen und Gedankengängen.
Im Ergründen, wie sich Identitäten bilden, begegnet Martin Hoffmann den großen philosophischen Fragen,
die das Leben stellt, und der kleinen, aber nicht minder gewichtigen: Wo leben wir denn eigentlich?

1 Jean Tinguely, Stillstand gibt es nichtl, anlässlich einer Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim, Prestel, München 2002.
2 Roger Willemsen, Der Knacks, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2008.
3 Ein Zitat von Friedrich Dieckmann, Publizist, zu den Kopf-Arbeiten von Martin Hoffmann, 3.l2.2016,
Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum im Schloss Rheinsberg.

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