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Gerhard Wolf
Lineatur und Fläche
Typographie und Grafik in Martin Hoffmanns Büchern
in: Martin Hoffmann: Reflexe aus Papier und Schatten
Berlin, Gerhard Wolf Januspress 1996
typographie ist die bildliche form der sprache.
otl aicher
Wer glaubt an Zufälle?
Sicher war es kein Zufall, daß Martin Hoffmann, von uns avisiert, kurz vor der »Wende« otl aicher in seinem »studio für visuelle kommunikation« in Rotis, Ort in einem Tal des Vorallgäu, besuchte und von dem, was dieser Mann als Denker und Designer schon bei der ersten Begegnung verkörperte, mehr als inspiriert war. So daß es kein Zufall war, daß wir, als wir uns überlegten, wie denn die Bücher unseres waghalsigen Verlagsunternehmens im Jahre ’90 aussehen sollten, ohne zu zögern auf die neue Schrift-Familie von aicher kamen, die »rotis« eben, die für die von uns bevorzugten Texte, die mit Sprache und Schrift experimentierten, geeignet und angemessen schien.
„O Lust des Beginnens“, heißt es bei Brecht, und es war schon etwas von dieser Lust, die uns in dieser Zeit gesellschaftlichen Umbruchs mitergriff, nun selbst Bücher machen zu können, wie wir sie uns vorstellten. Lust, die damals auch Martin Hoffmann, sich in dieses neue Metier einarbeitend, erfaßte, als er sich bis in die Nächte hinein mit dieser Schrift vertraut machte, ihre Laufweiten erprobend und verändernd – die einfache Linie –, Seitenlayouts taxierend und zurechtrückend – die aicherschen Freiräume im Blick –, als er schließlich mit aicher selbst noch am ersten Buch saß: Texte von Franz Mon in spannungsreich kombinierter Wechselbeziehung zu Sprachblättern und Essays von Carlfriedrich Claus, künstlerischer Dialog zweier namhafter avantgardistischer deutscher Autoren experimenteller und visueller Poesie und Grafik: das wort auf der zunge.
otl aicher hat das Manuskript seiner politischen Schriften, die er in unserem Verlag veröffentlicht sehen wollte, tragischerweise nicht mehr als Buch in Händen gehabt. Mit seinen letzten Essays zum Design und persönlichen Aufzeichnungen aus den Jahren 1989/90 wurde es sein bewegendes, literarisches Vermächtnis: schreiben und widersprechen. Martin Hoffmann hat es streng nach den Vorgaben seiner Bücher komponiert. Und, soweit ich sehe, hat seitdem im Buchdruck kein anderer Gestalter so konsequent und stringent mit dieser Schrift und ihren Möglichkeiten klarer Konturen gearbeitet und – ganz im Sinne des Meisters – das »Erscheinungsbild« unseres entstehenden Verlages entwickelt. Von den vielzitierten „Mühen der Ebenen“ des Metiers, die damit auch für ihn begannen, zunächst gar nicht zu reden.
Natürlich kam solches Gestaltungsvermögen nicht aus heiterem Himmel. Martin Hoffmann ist ja unter den »Malern und Grafikern vom Prenzlauer Berg« der 1. Generation eine ganz singuläre Erscheinung, geradezu in Kontrast zu jeder ›wilden‹ Gestik eines in expressiven Farben und Formen schwelgenden künstlerischen Protests gegen den herrschenden normativen Realismus. Seine ›andere‹ Sicht bestand auf der linearen Reduktion durchdachter Des-Illusionierung der ihn umgebenden ›realexistierenden‹ Stadt aus Ansicht und Fassade und ihrer Zurückführung auf signifikante, durchschaubare Strukturen, eigensinnig, beharrlich und widerständig bei Herausforderung einer alternativen Sehweise und Kommunikation. „Das Moment der Reflexion auf die Mittel und die Verfahren, die Werkpoetik also, sind Teil des poetischen Arbeitsprozesses“, heißt es bei Franz Mon, „wobei je nach aktueller Konstellation einmal mehr die reflexiv-handwerkliche Seite, einmal mehr die … einfalls- und traumzugewandte Seite akzentuiert werden kann.“
Ich würde diese Ambivalenz auch für das künstlerische Selbstverständnis Martin Hoffmanns in Anspruch nehmen, und zwar für alles, was er tut. Ein entwaffnender, aufklärerischer Aspekt in seinen Arbeiten, und wie nach aicherscher Haltung, eine Ästhetik des Schönen aus Anschauung des Konkreten und richtig Verstandenen in übersichtlichen Vorstellungen durchaus mit dem Angebot, sie anzuwenden: durchschaubare Wirklichkeit in Anblick und Kontrast zum leeren Raum.
So entwarf er 1985 für unser Buch Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht - Gesprächsraum Romantik ein Cover: das Bild von einem Blick aus einem Zimmer, Berliner Altbau, durch ein offenes Fenster industrieller Fertigung jener Jahre auf ein berühmtes Landschaftsmotiv des kühlen Romantikers Caspar David Friedrich – Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht. Und im Schriftbild setzte er, wie ich heute verwundert wahrnehme, schon damals eine Groteskschrift gegen eine Antiqua mit Serifen, so daß, durch gebrochene Sichtweisen in Bild und Schrift, verschiedene Zeiten zueinander in Korrespondenz treten, sich treffen und voneinander scheiden.
Wie man jetzt sieht, ein grundsätzliches Prinzip seiner ins Auge fallenden Arrangements mit Typographie und Grafik, das man durchgängig bei den Büchern von Janus press variationsreich angewendet sieht.
Ein Verfahren, das ich so umschreiben würde: die schmucklose »rotis semigrotesk« – die als Schrift der konstruktiven ›konkreten Poesie‹ eines Franz Mon geradezu adäquat Aus-Druck gibt, nimmt sich, kalkuliert, der Dichtungen der »Prenzlauer Berg-Connection« an, begegnet ihrer ungezügelten Kreativität und De-Struktivität typographisch nüchtern, sachlich, unpathetisch und läßt ihre Sprechweise, die sich dem geregelten deutschen Sprachkodex anarchisch widersetzt, gerade deshalb in ihrer provozierenden Eigenständigkeit um so deutlicher in Erscheinung treten. Wirkung aus einem paradoxen Gegensatz, wie ihn Martin Hoffmann, jeweils differenziert, an Büchern von Jan Faktor, flanzendörfer, Bert Papenfuß oder Gabriele Stötzer-Kachold unaufwendig demonstriert. Oft nach Debatten in heftigem Widerstreit, weil ja divergierende Kunstauffassungen zur Sprache kommen, um in „bildliche Form“ umgesetzt zu werden. Streitgespräche, wie sie wohl nur in einem Verlagsunternehmen unserer Art stattfinden, wo die Autoren oder Herausgeber an der Entstehung ihrer Arbeiten vom Manuskript zum fertigen Buch beteiligt sind, wenn sie es wollen.
Bücher also, die das Verfahren der in der DDR praktizierten Maler- und Grafiker-Bücher aufnehmen und in den Buchdruck zu übertragen suchen. Wenn ein Künstler wie Helge Leiberg frei und ungehindert in den von Martin Hoffmann vorgegebenen Drucksatz hineinzeichnet, Feder oder Pinsel, Tusche oder Farbe wählt, wie er sie für passend hält, Freiflächen großzügig ausmalend, beschränkten Raum bewegungsreich nutzend und listig erweiternd. Zeichnungen in unmittelbarer Berührung zur Poesie des Textes routine in die romantik des alltags. Auf den Bahnen der VEGA, Sternbild im Zeichen der Lyra, skizziert a.r. penck großzügig spontan Gouachen aufs Blatt. Das sind Bücher einer künstlerischen Partnerschaft durchaus polarer Naturen, auch weil sich Martin Hoffmann ganz auf ein anderes Anliegen einlassen kann, dem er sich allerdings strikt verweigert, wenn es seinem Kunstverständnis grundsätzlich widerstrebt. Sieht er seine gestalterische Intention und Kompetenz nicht in Frage gestellt, bezieht er, die mit ihm arbeiten, schon vom ersten Entwurf mit ein, fordert ihre Mitarbeit, das nun gemeinsame Projekt voranzutreiben.
Daß ihm Künstler am meisten liegen, die wie er sich nicht auf spontane Einfälle und Eingebungen verlassen, sondern im Arbeitsprozeß tastend mit mühsamen, auch skrupulösen Überlegungen umgehen, ist kein Geheimnis. So bewundert er die komplizierten, oft verschlüsselten Denklandschaften von Carlfriedrich Claus und versucht sich in ihre Gedankenwege und -bilder bis in die letzten Verzweigungen einzulesen, um ihnen im Buch in Zeichen und Bildschrift so weit wie nur möglich nahezukommen und gerecht zu werden; an der Unzulänglichkeit der Reproduktion seiner grazilen Blätter mit Fotografen, Scannern, Druckern bis zur schieren Verzweiflung zu hadern, nur er wüßte davon recht zu erzählen. Da haben wir schon mal einen wohlkonzipierten Umbruch ›geschmissen‹, nur weil er Claus, selbstkritisch penibel wie sein Gestalter, letztlich nicht zusagte; hier breche ich ab … Erinnere vielmehr an Momente gelösten Aufatmens nach langen Computerstunden, von denen die Betroffenen lächelnd zu berichten wissen. Wenn man dem Buch, das man dann in Händen hält, die Schwierigkeiten seines Entstehens nicht ansieht – Arbeitsgang Zwischen dem Einst und dem Einst – Grafikmappe und Buch, denen man nicht mit üblicher Lektüre beikommt, weil sie keinem Massen- und Bestsellergeschmack entgegenkommen, Kenner und Freunde gegenwärtiger experimenteller Kunst und Literatur aber zu Respekt und Anerkennung veranlassen. „Gemacht ist das Buch wieder fabelhaft, auch schön gedruckt“, schreibt Rudolf Mayer, Herausgeber der weithin geschätzten »eikon Grafik-Presse«, zu Buch und Reproduktion der Aurora von Claus, „und doch sachlich - nicht ‘prächtig’. Grüssen Sie bitte Martin Hoffmann! Er hats wieder getroffen …“
Eine gute Gelegenheit, Martin Hoffmann, mit ähnlichen Worten einmal öffentlich Dank zu sagen für ›seine‹ Bücher bei Janus press.
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