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Róža Domašcyna
Worte zur Eröffnung der Ausstellung „Köpfe Räume Collagen Zeichnungen“ von Martin Hoffmann
am 3. März 2013 im Käthe Kollwitz Haus, Moritzburg
Martin Hoffmann,
Geboren 1948 in Halle/Saale
Collagen, Gebrauchsgrafik, Zeichnungen, Ausstellungsdesign, Projekte, Buchgestaltung. Er studierte Mathematik und Graphik, ist Mitbegründer und Teilnehmer des Friedenskreises in der ev. Kirchgemeinde Alt-Pankow, Mitinitiator beim Aufbau der Tätigkeit von »amnesty international« ab 1990, zuerst in der DDR, dann in den östlichen Bundesländern. Seit 1991 hat er die Bücher des Verlages Gerhard Wolf Janus-press gestaltet. Ich ertappe mich immer wieder dabei, meine anderen Bände mit diesen schönen und gut gemachten Büchern zu vergleichen. Seit der Arbeit mit Martin Hoffmann favorisiere ich die Schrift Rotis von Otl Aicher, in der die Texte des Verlages Janus-press gedruckt sind. - Im Faltblatt zu dieser Ausstellung sind weitere Lebens- und Werkdaten zu finden.
Ich ersehe aus ihnen einen künstlerisch und politisch aktiven Menschen, der auch gern Anregungen gibt. Wie zum Beispiel beim Schulprojekt „Werktätige mit Faltbeuteln“ in Berlin Pankow im vorigen Jahr.
Anhand seiner Collagen gestalteten Schüler eigene Collagen aus Zeitungen. Besieht man sich seine Arbeiten und die der Schüler, erkennt man mehr Gemeinsames als Trennendes. Keinen so genannten Generationskonflikt, sondern Hoffnungen, Wünsche und Schwierigkeiten, die es in jeder Generation gibt.
War da was? Ist da was? Wird da was?
Da war was. Da ist was. Da wird was.
Was war da? Was ist da? Was wird da?
Politisches im Anagramm? Nicht nur.
Da war was - Die Collagen Martin Hoffmanns geben Auskunft darüber:
Militärische Aufmärsche und Vögel, Flugzeuge, Mauern, Wassersport, Umzugsautos, Fahnenappelle, Fernseher, Mahnmale, Maibaumwerfen, Kirchentüren, Krippenkinder in ihrem Gefährt auf der Straße, Fahrräder, Kantinen, Zeitungen, Litfasssäulen, Antennenwald. – Die Aufzählung ist lange noch nicht zu Ende. Man sieht und staunt. Das also waren die 80er Jahre. Hat man das wirklich schon vergessen? In Korrespondenz stehen seine Zeichnungen. Darauf z. B. Teile eines Autos. Wie schnell veraltet Technik? Die Umschlagszeiten werden immer kürzer. Die Abschreibezeiten der Grundmittel kommen nicht mehr nach. Haben sich gar schon auf die Entfernung eines Zurufs verflüchtigt. Schneller, als die Erinnerung, die sich Wege findet, fassbare Punkte. Dabei kommt das Wesentliche Vorschein. Das, was war und ist: einfach das Leben. Und das, was die Generationen von ihm erwarten. Das, was sich wiederholt.
Das ganze Leben im Faltbeutel – etwas aufheben, mit sich und bei sich tragen, bewahren, weitergeben.
Was denn? Das, was mit dem Leben zu tun hat: Es geht also um „Alltägliches, um Wiedererkennbarkeit, um die Wertschätzung von leicht Übersehenem“, wie Martin Hoffmann es sagt. Also um das so genannte „einfache Leben“.
Hansel Mieth, eine Fotografin, die 1909 in Deutschland geboren ist und nach Amerika emigrierte, hat ihren künstlerischen Weg einmal folgendermaßen definiert: „Und so muss ich meinen Weg finden/ Im Labyrinth der Zeit, ständig fortschreitend/ Vom Heute ins Morgen, Aber immer mit der Last von Gestern/ Mit der Last dessen, was vorher war, der Geschichte/ Und unerledigter Aufgaben/ Die uns eine andere Generation hinterlassen hat, / Aus der wir hervorgegangen sind …“. Das scheint so auch auf die künstlerische Arbeit von Martin Hoffmann zuzutreffen.
Aber – einfaches Leben: einfache Menschen? Menschen findet man in den Collagen. In Martin Hoffmanns „Räumen“ findet man sie als Schatten an der Wand, auf der Treppe, auf dem Monitorglas. Findet ihren gedachten Fingerabdruck an der Drehtür.
Und in seinen Arbeiten „Köpfe“ ist es lediglich der Kopf, der sich aus der Umhüllung, also Umstellung, schält, der dieser quasi von innen heraus seine Gesichtszüge aufdrückt, bis die Individualität des Einzelnen aufscheint. Ganz nach dem Motto: „Ich kam einem einfachen Menschen sehr nah/ den es einfach nicht gibt“, um es mit den Worten des Dichters Kito Lorenc zu sagen. Der Mensch hat die Räume geschaffen, sein Tun wirft lange Schatten über Generationen hinweg.
Diese künstlerischen Arbeiten bilden nicht ab, sondern führen Leben, Spuren des Lebens, mit sich. Sie sind Dokumentationen und Traumträger in einem. Die Gesichter schauen intensiv, aber ohne Vorwurf.
Wer hat sich da aus den Tüchern geschält, wer so dem Mumifizieren entwunden? Ich entdecke Ähnlichkeiten mit dem Selbst. Habe sie noch nach dem Verlassen des Raumes vor Augen.
Was war da?
Die Figuren bleiben im Gedächtnis. Die weiße Verhüllung - Bandagen, Streifen, Binden. Was verbirgt sich dahinter? Genesung, die sterile Abdeckung verlangt? Tarnung? Verletzlichkeit? Letzteres scheint schlüssig, korrespondiert es doch mit dem verletzt Werden. Also mit dem Werden. Mit dem Neuem, noch kaum erahnten. Das Weiß gibt es vor. Die Farbe der Trauer, wie ich sie als Kind erlebte: tiefe Trauer, Halbtrauer. Dann kam allmählich das Schwarz ins Spiel.
Eine Schwarz-weiß-Sicht auf zeitgeschichtliche Ereignisse ist nichts Neues. Die Werktätigen mit den Faltbeuteln haben sie auch erfahren.
Die Stereotypen in Frage stellen, Farbe bekennen - das ist keine einfache Übung. In Martin Hoffmanns Arbeiten wird sie erkennbar: das Zulassen der Grautöne, die Hinterfragung der Verhüllungen. Nicht nur regional, sondern weltweit.
Seine Collagen zeugen von Gegebenheiten, die Sicht auf die Gegebenheiten ist offen. Und manchmal ändert sie sich auch, so, wie der Mensch sich ändert.
Der Blick in seine „Räume“, die von der Industrie, also auch der Politik, geprägt sind, und von den wechselnden Moden der Raumeinrichtung in den Jahrzehnten Zeugnis geben, ist mehr als bloße Dokumentation. Martin Hoffmanns Räume öffnen die Sicht auf das Leben in ihnen, auf Lebensläufe. In den Räumen - in der Umgebung – agierten Charaktere, Temperamente, Sturköpfe und Engelsgesichter.
Und das geht so weiter! Gesichter – Strichcodes. Kommt man sich nicht manchmal so durchsichtig, durchleuchtet, so auf einen Strichcode reduziert vor, dass man an der eigenen Subjektivität zu zweifeln beginnt?
Türen, Fenster, Treppen führen ins Offene. Ein fast leerer Raum ist eine Einladung einzutreten, den Raum zu füllen, ihn durch das Ich zu gestalten. Diese Räume sind auch lichtdurchflutete Ermunterungen.
Was wird da? Wir müssen uns überraschen lassen. Was wir wissen, ist: Was war da. Martin Hoffmanns Köpfe, Räume, Collagen und Zeichnungen führen rückblickend ins Künftige. –
Da ist also was - Dokument, Vision, Traumteil: da sind seine Arbeiten.
Texte von Róza Domašcyna auf www.planetlyrik.de
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