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Christa Wolf
Köpfe
Ein Gespräch mit Martin Hoffmann
Für unser Gespräch hat Martin Hoffmann eine Auswahl von Blättern mit den Kopfmotiven um uns herum aufgestellt.
Befragt, warum es vorher keine Figuren bei ihm gab, höchstens als Schatten, auch keine Portraits, sagt er, er habe damals Situationen darstellen wollen, welche die Frage provozierten: Wo leben wir denn eigentlich. Das habe viel mit der DDR zu tun gehabt. Er habe nach jeder Ausstellung auf einem Gespräch mit dem Publikum bestanden, in dem weniger der Kunstaspekt seiner Arbeiten, sondern eben diese Frage bewusst heraufbeschworen wurde. Dies habe sich jetzt geändert. Die Räume, die er mit seinen Sepias gestaltet und geöffnet habe, könne man als Bühnen sehen für den möglichen Auftritt von Figuren, die noch abwesend seien.
Die Technik, welche die Köpfe hervorbringt, hat Martin Hoffmann zuerst bei einem Janus-Kopf angewendet, entworfen für den Verlag Gerhard Wolf Janus press, dann bei einer Medea-Figur, zu der ihn mein Text Medea. Stimmen angeregt hatte und die mir sofort entgegenkam. Im Winter 1999 habe er sich dieser Machart erinnert, sagt er, und angefangen, an den Köpfen zu arbeiten. Die Technik schildert er so:
Er nehme sehr durchscheinendes Pergamin-Papier und als Untergrund dunklen Karton. Er wisse, dass er einen Kopf machen wolle; vielleicht setze er an den Rand ein paar Orientierungspunkte. Dann reiße er ein Stück von dem Papier, klebe es auf. Vielleicht wird dort einmal der Hals sein – der übrigens enorm wichtig sei -, oder die Stirn. Jedenfalls entstehe mit diesem ersten Stück eine Bewegung auf dem dunklen Grund. Darauf antworte er, damit trete er in ein Gespräch, möchte ein Gegenüber kenntlich werden lassen mit einem zweiten, mit einem dritten gerissenen Stück Papier und vielen folgenden – die klebe er sozusagen mit kühlem Kunstverstand.
Es gebe keine Vorzeichnung. Später gelte es, die gewordene Form nicht festzulegen, den Prozeß der Annäherung nicht zu beenden. Solche Blätter, bei denen etwas wie ein Gesicht erscheint, das ihm flach vorkomme, wanderten ab in die Schublade.
Nie versucht er, irgendeine Portraitähnlichkeit herzustellen.
Ich versuche zu formulieren, was für einen Eindruck die Köpfe auf mich machten, als ich sie zum ersten Mal sah: Überraschung, Erstaunen, fast Erschrecken. Als ob sie sich von ihrem Hintergrund lösten und sich auf mich bewegten. Mit einem Kopf, den du mir geschenkt hast, der ein etwas kleineres Format hatte, sage ich, ist mir folgendes passiert: Er hing in meinem Arbeits- und Schlafzimmer in Mecklenburg und starrte mich die ganze Zeit auf bohrende Weise an. Ich musste ihn weghängen, in eine andere Ecke, von wo aus sein Blick mich nicht traf.
Solche Wirkungen habe er nicht vorausgesehen, sagt Martin Hoffmann, und nicht gewollt, allerdings erfahre er nach Ausstellungen von manchen Betrachtern ähnliche Reaktionen. Es gebe auch Abwehr-Haltungen.
Wahrscheinlich, sage ich, fühlt mancher sich belästigt, vielleicht sogar angegriffen durch den Absolutheitsanspruch, den diese Köpfe anscheinend ausstrahlen. Daß sie den Kompromiß verweigern. Dies war es wohl – unter anderem – was mir, als ich zuerst mit diesen Köpfen konfrontiert wurde, das starke Gefühl von „zeitgenössisch“ aufdrängte. Wie kam dieser Eindruck zustande? Diese Mitlebenden wissen Bescheid, sie sind allen Einflüssen und Erfahrungen des Jahrhunderts ausgesetzt. Geben nicht auf. Eine gewisse Tapferkeit ist ihnen mitgegeben.
Frühere Bemühungen, sagt Martin Hoffmann, Köpfe zu zeichnen oder zu malen, seien „flach“ geblieben. Erst die Technik der Collage habe es ihm ermöglicht, das, was einer nach dem
20. Jahrhundert von den Verletzungen und Missachtungen des „Menschen“ auf der einen Seite und seine Möglichkeiten andererseits wissen kann, in einer bildnerischen Darstellung ahnbar zu machen – das jedenfalls zu versuchen. Möge es anmaßend klingen, aber Auschwitz, der Gulag sollten mitschwingen, wenn er eine heutige Person abbilde. Das geschehe nicht bewußt, seine Hände, die das Papier reißen und kleben, folgten unbewußt den Strömen seines Gehirns, die all diese Erfahrungen des vorigen, und nun auch schon die dieses neuen Jahrhunderts aufgenommen und die Identitäten der Personen zersplittert hätten.
Er könne nicht mehr an die ganze Person glauben. Er nennt Fotos bekannter Fotografen: Da seien die Menschen, auch wenn sie in schwierige Situationen geworfen würden, auf bestimmte Weise »ganz«.
Heute stünden sie anders da, so empfinde er es, nämlich mit zerfledderten Biografien, mit Anforderungen an einen bestimmten Lebensstil, umstellt von Gelegenheiten, die sie nicht verpassen dürften und wollten. Der Prozeß des Machens dieser Collagen seien doch fast gleichnishaft: Das Reißen des Papiers assoziiere das »Nicht-Ganze« dieser Person, das Durchscheinen der Papierschnitzel bringe die herbeigesehnte Vielschichtigkeit und »Tiefe« ins Bild, und das Kleben sei ein Zusammenfügen und Verweben.
Ich werfe ein, für mich hätten die Köpfe etwas Autobiografisches.
Mag sein, sagt Martin Hoffmann. Er könne sich ja auch nicht als Ganzheit sehen. Etwas Zerrissenes in sich selbst habe ihn gereizt, angestachelt zu diesem Projekt.
Ich sage, nicht immer seien die Köpfe eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Wahrscheinlich würden verschiedene Betrachter einzelne Köpfe unterschiedlich als »männlich« oder »weiblich« sehen.
Das möge so sein, sagt Martin Hoffmann. Für ihn spiele das Geschlecht der Figuren keine Rolle, er wisse auch am Anfang nicht, ob am Ende ein »Mann« oder eine »Frau« uns anblicken werde.
Ich sage, ich sei besonders angesprochen worden (»angesprochen« sei das richtige Wort) durch einen Kopf, der, während wir miteinander reden, vor uns steht, den ich »Virginia« genannt habe, ohne etwa eine Portraitähnlichkeit mit Virginia Woolf damit ausdrücken zu wollen. Diese Person habe etwas Zartes, sehr Differenziertes, sehr Bescheid Wissendes. Sie blicke einen übrigens nicht an wie die meisten anderen, sie blicke vor sich hin, sage ich, das empfinde ich als rücksichtsvoll: Als habe sie die Schrecken gebändigt, die sie wohl hinter sich hat, und von denen ihr ein schmerzvoller Ausdruck geblieben ist. Während ich das zu formulieren suche, empfinde ich stark, daß eine jede Beschreibung dem Bild etwas schuldig bleiben muß, aber das ist ja ein altes Problem der Bildbeschreibung. Wie auch jede Illustration dem Text etwas schuldig bleibt. Die Künste ersetzen einander nicht, sie ergänzen sich im besten Fall. Jedenfalls: Es bleibt mir ein Rätsel, sage ich, wie du mit diesem Material einen Zeittunnel herstellen, das Gefühl der Tiefe erzeugen kannst.
Das könne man sich nicht vornehmen, sagt Martin Hoffmann. Das passiere einem. Übrigens baue er die Köpfe ja von der Tiefe her auf, von innen nach außen, nicht umgekehrt.
Nun gut, sage ich. Ein Kunstwerk ohne Geheimnis ist ja kein Kunstwerk. Aber auf eines müsse ich noch zu sprechen kommen: Mir gefalle es außerordentlich, dass er die Personen auf diesen Blättern »Gäste« nenne, „die auf den Collagen zu mir kommen“. Was ja heißt, dass er sie mit Respekt behandle und nicht etwa vereinnahme. Das bringe sie mir nahe, sage ich. Behutsam herbeigerufen, erscheinen sie freundlicherweise auf dem Papier und könnten auch wieder gehen. Das ist nichts Mystisches. Wir alle sind ja umgeben von Strömen von Energie, von Energiefeldern, wir selbst sind materialisierte Energie, der Künstler ist das Medium, er spannt ein Energienetz auf und fängt, wenn er die entsprechende Wellenlänge trifft, eben jene »Gäste« auf. Sie gehen ihm ins Netz, ohne dass er ihnen Gewalt antut. Ich will dir gestehen, sage ich, dass die Seltsamkeit, auch Fremdheit dieser Köpfe mich manchmal an Außerirdische denken läßt.
Für mich, sagt Martin Hoffmann, sind das keine Extraterristischen. Er sehe den Prozeß des Machens anders, sachlicher, nüchterner, auch professioneller. Durchaus sei er auch mit Kunstroutine verbunden, mit Kunstverstand, erfordere andauernd einen künstlerischen Entschluß, sei also professionell.
Ich bin davon überzeugt, sage ich, sonst wäre es laienhaft und das Ergebnis wahrscheinlich unerträglich. Trotzdem behalten die Blätter eine Spontaneität.
Etwas sei ihm noch wichtig, sagt Martin Hoffmann: Er wolle bei der Gestaltung der Augen jedwede Melancholie vermeiden: Die würde sich ganz leicht einschleichen, wenn er nicht sehr darauf achten würde, dass dies nicht passiert.
Ich verstehe sofort, was er meint. Melancholie könnte ein Zugeständnis an eine gängige Mode sein. Diese Köpfe haben keinen Hauch von Beliebigkeit, die Versuchung, sich dem anpasserischen Zeitgeist zu ergeben, hat sie nicht gestreift. Eben deshalb, eben dadurch sind sie authentisch.
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