Spacer20_12
Martin Hoffmann · Graphiker | Kontakt | eigene Ausstellungen | Arbeiten in der DDR | Biographie | Kataloge | Texte | Referenzen  
Spacer20_12
Spacer20_12
Spacer20_12

Spacer20_12

Spacer949_10

Spacer20_12

Spacer20_300

Reinhard Dircks

Vernissage zur Ausstellung »Gäste«
Hamburg · Hauptkirche St.Petri· 21. Februar 2018

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Mitarbeiter des Beratungs- und Seelsorgezentrums,
lieber Herr Hoffmann,
es freut mich, dass Sie hier in der Hauptkirche St. Petri zu Gast sind.
Die Hauptkirche will ein Gasthaus der Seele sein. Dieser Raum hier und natürlich die Beratungsstelle, die heute 48 Jahre alt wird, genauso.
Jeden Tag besuchen Menschen diesen Raum. Und je nachdem mit welchen Augen wir sehen, werden wir sie schemenhaft nur in ihren Umrissen wahrnehmen, Ihre Köpfe, ihre Haltung bemerken, oder gar eine Ahnung gewinnen, wie es ihnen geht. Nein, ich vermeide es die Menschen anzustarren, schließlich verdienen sie in diesem Schutzraum der Kirche auch Schutz. Das Gesicht teils vergraben, teils zum Altar gerichtet oder auch interessiert den Raum durchwandernd. Deswegen ist es auch nicht angemessen, deren Motive zu deuten. Ob sie da sind, nur um sich den Raum anzusehen, ob sie da sind mit einem Gebet. Z.B. der 27. Psalm: „Mein Herz hält dir vor: „Ihr sollt mein Antlitz suchen“, darum suche ich Herr dein Antlitz.“
Wann schaust du mich an. Wann wird es gut? Woher kommt mir Hilfe oder siehe nur auf mich, das zumindest einer sieht, wie es wirklich ist. Das Angesicht Gottes – es ist das Synonym für seinen Segen, seine Zuwendung, sein Licht, seine Güte.
Oder auch umgekehrt: Vielleicht sind die Menschen auch voller Dankbarkeit im Raum, Glück womöglich: „Und ich sehe den Himmel mit meinem Angesicht“. Wie es Paul Gerhard in einem Gedicht schreibt. Frei und offen, ein Gesicht, das sich dem Himmel entgegenhält, wie ein Sonnenhungriger, der sich nach Wärme sehnt. Erwartungsvoll, vertrauensvoll, dankbar und ohne Scham.
Wie gesagt, wer will es deuten?
Das Wort Angesicht und Gesicht vielen nicht zufällig. Denn zu den üblichen Gästen, haben wir heute noch besondere dazu eingeladen. Die Köpfe der Ausstellung. Sie mögen wie Gäste gesehen werden, denn dies ist das Anliegen von Herrn Hoffmann. Gäste willkommen heißen - und man weiß nicht, wer kommt. Sie sind vielschichtig im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht gemalt oder gezeichnet, sondern verschiedene Schichten von Pergamin-Papier prägen sie. Aber dazu wird Herr Hoffmann der Künstler sicherlich noch etwas sagen.

Doch eines ist mir wichtig daran. Es geht um die Vielschichtigkeit eines Gesichts, das hier gestaltet ist und das womöglich in uns gewachsen ist. Die Vielschichtigkeit eines Menschen ist oft zunächst gar nicht erkennbar. Und doch trägt unser Gesicht die Jahre, in denen es sich geformt hat. Vielleicht sind es manchmal noch die Augen des Säuglings, die beim Erwachsenen hindurch scheinen, das Lächeln einer Vierjährigen, die Grimasse eines Zwölfjährigen, die Stirnfalte der Dreißigjährigen. Womöglich sind Spuren unterschiedlicher Erfahrungen erkennbar – Erfahrungen von Unfreiheit, Gefahr, Glück, Angst oder Liebe. Und wenn alles überlagert ist, dann wird es womöglich so vielschichtig, dann liegen so viele Schichten übereinander, dass man den Reichtum des Lebens sehen kann oder auch die Uneindeutigkeit sehen kann. Vielleicht wirkt es auch so, dass etwas davorliegt und man sich wünscht, den einen oder anderen schimmernden Vorhang zur Seite ziehen zu können.
Wer diese Köpfe betrachtet wird vielleicht zunächst das Gesicht darin suchen. Automatisch fragt sich welcher Ausdruck mir dort begegnet. Und mag etwas Ernstes, Trauriges, Nachdenkliches oder auch Verschmitztes darin lesen. Je nachdem. Vor allem ist eines bedeutsam. Wir sehen es. Wer sich in diese Bilder hineinvertieft wird womöglich ein Gegenüber sehen. Vielleicht sieht man sogar eine Botschaft darin. Eine Botschaft, die ein Ausrufungszeichen verdient oder doch eher ein Fragezeichen?
Ja, diese Bilder wirken gar nicht wie ein Objekt, das ich ansehe, sondern zugleich wie ein Subjekt, das mich betrachtet.
Doch täuschen wir uns nicht: Es sind keine Subjekte – es sind Bilder. Wenn, dann sind wir es selbst, die darin ein Subjekt erkennen. Wir sind es selbst, was wir darin sehen. Ja, wer diese Bilder versucht zu lesen, wird sie immer mit den eigenen Augen lesen, womöglich die eigene Lebens Geschichte darin erkennen. Die Lebensgeschichte, die ich hatte, die ich nachspüren kann, an die ich mich erinnere – vielleicht eben nur schemenhaft oder eine Geschichte, die ich vermeiden konnte. Wie auch immer: Was sie auszeichnet ist, dass man darin eine Begegnung erfahren kann. Eine Begegnung mit mir und meiner Deutung.
Ich denke ein Mensch ist niemals nur für sich und an sich, sondern was wir sind, ist immer auch davon bestimmt, wo wir sind, in welchem Kontext wir leben und in der Begegnung, die wir erfahren.
Dies ist eines der Gründe, warum ich sehr schnell davon überzeugt war, diese Ausstellung in der Kirche zu haben. Es geht um Menschen mit ihren Geschichten und es geht um den Betrachter mit seiner Geschichte. So, wie es in der Kirche immer um Menschen und ihre Geschichten geht „Im Beratungszentrum wird über das Leben gesprochen“. Das Leben, wie Menschen es alltäglich erleben. Und wie schnell kann es passieren, dass ich als Zuhörer in den Geschichten der anderen meine eigene entdecke oder meine Angst drin entdecke oder in der Abgrenzung von ihnen begreife, wie gut es mir geht. Und wie schnell beginne ich zu deuten, was ein anderer mir sagt. Ja, es geht auch um Deutung und es geht um das Verstehen. Doch es geht darum, den anderen zu verstehen und nicht nur mich selbst. Die Deutung sei immer dem Ratsuchenden vorbehalten.
In den Zehn Geboten heißt es: „Du sollst dir kein Bildnis machen.“ Gemeint ist Gott. Du sollst dir von Gott kein Bildnis machen. Denn jedes Bild, dass wir uns von Gott machen, wird zu eng, wir werden immer nur unsere Vorstellungen sehen, aber nicht Gott. Wenn ich den Begriff „Gott“ mit dem Wort „das Leben“ übersetze, dann hieße es: „Du sollst dir vom Leben kein Bildnis machen“. Hier wird deutlich, welcher Unterschied darin besteht. Das Leben, wie ich es mir vorstelle und wie ich es erwarte, wie es sein sollte und sein wird, wird immer zu eng sein. Das Leben begegnet Dir, wie es ist und niemals anders. Doch was es ist, was wir erleben, deuten und verstehen wird immer nur im Nachhinein.
So wird erzählt: Mose begegnet Gott auf dem Gottesberg. Er erhält die Gebote. Er selbst kann Gott nicht sehen, denn wer ihn sieht, wird sterben. Es kann nicht bestehen, wer Gott begegnet. Aber im Vorübergehen, im Nachhinein wird er Gott schauen. Er sieht ihn nicht wirklich - nur im Nachhinein, im Vorübergehen. Ein Bild ist immer eine Deutung. Es ist als wenn wir den besonderen Moment immer nur im Nachhinein entdecken. Jetzt war Gott da. Jetzt war es besonders.
Als Gott den Menschen schuf, schuf er ihn zu seinem Bilde. Zum Bilde – zum Ebenbild! Wer einen Menschen sieht, wird darin immer auch Gott entdecken. Ein Mensch als Abglanz Gottes. Der Wert ist ihm gegeben und die Möglichkeit der Lebensgestaltung. In jedem Menschen ist das Leben zu entdecken. Doch auch hier gilt womöglich, immer nur im Nachhinein. Es gehört sicherlich zur Ebenbildlichkeit, dass jedem Menschen ein Geheimnis, quasi wie ein Edelstein, innewohnt, dass dem Auge nicht wirklich zur Verfügung steht. Ein Geheimnis, dass nur erlebt werden kann. Erlebt werden im Kontakt mit dem anderen. Was wir auch in den Bildern sehen, sie sind Ebenbilder Gottes. Übrigens, wenn es nicht so klischeehaft wäre – ich sah in vielen Bildern Christus. Gerade in der Vielschichtigkeit und in der Uneindeutigkeit.
Ich bin gespannt darauf, wie diese Köpfe in der Kirche wirken. Und dies in der Passionszeit, in der es um das Menschliche des Menschen geht.
Das Motiv von Köpfen bekam in ihrer Arbeit, Herr Hoffmann, noch einmal eine besondere Note – eine besondere Erfahrung durch die Begegnung mit den Flüchtlingen am Bahnhof. Das war ja wirklich eine besondere Zeit. Bereitschaft anderen zu helfen, die unkonventionelle Arbeit, die dort geleistet wurde und die Menschfreundlichkeit, die sich auch zeigte. Flüchtlinge, Köpfe, Geschichten, Kulturen, Religionen in ihrer Hoffnung und in ihrer Not. Was vor eineinhalb Jahren als Menschenfreundlichkeit verhandelt wurde, wird heute ein Problem genannt. Wo man damals stolz sein konnte, wird heute von Fehlern gesprochen. Dabei geht es immer nur um eines, nicht nur Köpfe, sondern ganze Menschen.
Die Ausstellung trägt den Titel „Köpfe und Räume": So wie diese Köpfe, wie diese Gesichter durch den Raum, in dem sie zu sehen sind, ihre Aussage gewinnen, werden auch die unterschiedlichen Räume uns verändern.
Es sind unterschiedliche Räume. Räume, die man betreten kann. In die man sich quasi stellen kann. Doch was wird in mir wach, ob ich in einem Treppenhaus stehe, in einem Büro in einer Kirche. Wie verändert es mich, meine Fantasie oder mein Bild. Die Räume sind mehr als Gebäude aus Stein. Auch Räume haben ihre eigene Sprache. Und wir hören sie, wenn wir uns hineinstellen. Räume setzen Grenzen oder auch Möglichkeit frei. Nicht nur wie in diesem Raum, der es erlaubt weit zu atmen oder still zu einen, sondern der Raum öffnet unterschiedliche Themen. Bei manchen Bildern wächst meine Erfahrung von Einsamkeit, andere provozieren mich, Wut zu entwickeln, die nächsten lassen mich einen Tanz fantasieren.
Räume, die wie Resonanzräume wirken können. Wer sich hineinstellt – also quasi – wird das seine erleben.
Im Beratungszentrum ist es uns eine großes Anliegen Räume zu schaffen. Tatsächlich, wir müssen sie durch das Gespräch, durch die Begegnung, dank zweier Gesichter herstellen, denn die Beratungsräume, die Wände selbst sind doch eher eng.
Unsere Räume wollen Schutz geben, um dem Anliegen einzelner Menschen Gehör zu verschaffen. Schutz durch Anonymität, durch Verschwiegenheit, durch Verständnis, durch Resonanz. Resonanz bedarf immer eines Raumes. Ein Raum, der die Vielschichtigkeit erlaubt, der es erlaubt, dass Zugedecktes geschlossen bleiben darf oder der die Weite gibt sich öffnen zu können.
Wenn wir nun durch die Ausstellung gehen, welchen Raum werden wir der Begegnung mit den Bildern geben können? Eines möge deutlich werden – diese Ausstellung ist lebendig. Möge sie auch lebendig machen.
Danke!

 

Spacer20_300
Spacer20_12 zurück zum Seitenanfang Impressum Spacer20_12