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Christa Wolf

Gang durch Martin Hoffmanns Räume

in: Martin Hoffmann: Reflexe aus Papier und Schatten.
Berlin, Gerhard Wolf Januspress 1996

Die Person, die auf Martin Hoffmanns Grafiken und Aquarellen fehlt, bin ich – das scheint mir eine Antwort auf die Frage zu sein, warum Hoffmanns Arbeiten mich von Anfang an fasziniert haben. Und wenn ich nur, wie bei den ersten »Sepias«, die ich sah, diejenige war, die von der gegenüberliegenden Häuserreihe, aus einem der gleichartigen Fenster, auf jene heraufstürzende Häuserfront in Plattenbauweise blickte (es mußte nicht unbedingt der gleiche Standort sein, den der Maler eingenommen hatte), übrigens mit einem leichten Schock, der nicht nur Wiedererkennen, auch Neu-Sehen bedeutete, weil ja seine so überaus präzisen Zeichnungen eben gerade nicht naturgetreue Abbildungen sind. Herauszufinden, inwiefern sie das nicht sind, reizt mich jedesmal wieder. Manchmal ist es eine beiläufige Verschiebung der Perspektive, ein ›zufälliges‹ Verrutschen der rechten Winkel, irgendetwas Verkehrtes, oft auf den ersten Blick kaum wahrnehmbar, das die scheinbare Sachlichkeit der Abbildung aufhebt und mit leicht boshafter Ironie die Absurdität der Erscheinung vorführt. So daß ich öfter, wenn ich eine seiner Arbeiten zum erstenmal sah, einen kleinen Überraschungslaut ausstieß, einem Lachen ähnlich – wie man unwillkürlich auflacht, wenn etwas sehr Bekanntes plötzlich fremd erscheint. Entfremdet, nämlich. Zum Beispiel die Bauten, zwischen denen wir uns bewegen. Die Plattenbausiedlung. Die Mauer. Die Autoschlange. Häuserfronten. Tunnelkonstruktionen. Peitschenlampenanlagen. U-Bahnschächte. Strenge Stadtansichten, zur Kenntlichkeit gebracht durch ernüchternde Überexaktheit, von Menschen entleert oder befreit, die aber gegenwärtig sind als Entwerfer und Erbauer dieser entfremdeten Umwelt, die sie nun auszustoßen scheint.

Interpretationen einer Betrachterin, die sich mit den Intentionen des Grafikers, des Aquarellisten nicht decken müssen – schon deshalb nicht, weil seine ›Intentionen‹ hier eben nicht in Worten, in Sätzen ausgedrückt sind; auch wenn ich mich berufen kann auf Aussagen von Martin Hoffmann wie diese: „Kunst muß darauf bestehen, daß jede Entwicklung dahin gerichtet ist, der Würde des Einzelnen Raum zu schaffen.“ Der prüfende, unvoreingenommene Blick wertet aus einer Haltung heraus, die nicht angelernt, nicht aufgesetzt, sondern diesem Zeichner eingefleischt ist, so daß das Adjektiv ›kritisch‹ für seine Arbeiten auch gilt, aber zu kurz greift. „Es ist, wie es ist“, befindet er, das könnte befremden, käme da nicht der Nachsatz: „Solches Akzeptieren heißt allerdings nicht, es für gut hinnehmen, sondern fragen, wie wir damit umgehen.“- Ich erinnere mich noch an mein Staunen, als mir zum erstenmal jenes Leporello aufgeblättert wurde, das abwechselnd, aber nahtlos aneinander anschließend, alte und brandneue Berliner Hausaufgänge zeigt, so daß in mir die Geschichte von Generationen in dieser Stadt aufblitzte, Lebensgeschichten im Zeitraffer vorbeizogen, Gestalten aus der Zeittiefe auftauchten. Solche Assoziationen zu wecken, das wäre wohl ein Wunsch dieses Künstlers, befragte man ihn nach der möglichen Wirkung seiner Blätter.
Aquarell, Zeichnung, Collage, Plakat – Martin Hoffmann hat Formen entwickelt, mit denen er seine Bildgegenstände auf souveräne Weise erfaßt. Die ›Technik‹ seiner großen Aquarelle zum Beispiel ist nicht zufällig, auch wenn Hoffmann vielleicht nicht erklären könnte, aus welchem ununterdrückbaren Antrieb heraus er diese komplizierte, arbeits- und zeitaufwendige Machweise für seine großen Sepias entwickelt hat, die man eigentlich aus Verlegenheit ›Aquarelle‹ nennt, weil eben Wasser eine so große Rolle bei ihrer Herstellung spielt, – Wasser, das die Blätter und die schon aufgetragene Sepiafarbe wieder und wieder durchnäßt, bis sie, nach vielmaligem Trocknen, vielmaligem Wiederauftragen der Farbe – nach einem Prozeß, der das Material aufs äußerste anstrengt – die Intensität ausstrahlen, die mich gefangennahm, als ich die Art und Weise, wie sie verfertigt wurde, noch nicht kannte.

Seine Innenräume wiederum üben einen Sog auf mich aus, vielleicht, weil manche von ihnen Traumbildern ähneln, mit ihrer Vortäuschung der wirklichsten Wirklichkeit, die sich wie beiläufig zum Alptraum steigert, wie in jenem fast fotografisch abgebildeten, Computer heckenden supermodernen Büroraum, den wir auf einmal sehen, wie er ist: monströs, und der uns in all seiner alltäglichen Harmlosigkeit gefaßt darauf macht, daß er Ungeheures, daß er Ungeheuer ausbrütet. Oder woher kenne ich diese labyrinthischen, schiefwinkligen Gänge, wenn nicht aus Träumen, wo sonst habe ich mich an diesen Wänden entlanggetastet bis zu den Ecken, mich an eines dieser immer wiederkehrenden Fenster gestellt, darauf gefaßt und doch erschrocken, wenn nicht nur die gegenüberliegende Straßenseite sich in ihm spiegelt, sondern wenn durch eine allen physikalischen Gesetzen Hohn sprechende Brechung der Lichtstrahlen plötzlich ein Landschaftsstück im Fensterspiegel erscheint, oder wenn – wie in dem Akten und Aussicht benannten Blatt – aus dem nüchternen Lesesaal heraus, auf dessen Tischen die Akten der Staatssicherheit zur Einsicht bereitliegen, der überrumpelte Blick auf eine Reklamewelt fällt, die, wie jeder weiß, ›in Wirklichkeit‹ nicht zum unmittelbaren Umfeld dieser Behörde gehört. Nicht nur voneinander entfernte Orte, auch auseinanderliegende Zeiten sind hier in dem Rechteck des Bildes zusammengerückt, das in seinem Lakonismus eine Auseinandersetzung provoziert mit Urteil und Vorurteil, mit selbst Erfahrenem und ungern Wahrgenommenem.
Manche der Büros und Behördengänge, die Hoffmann mit einer Haßliebe minutiös abbildet, hat er in Farben angelegt, die ich ›giftig‹ nennen würde: den Gang, in dem Gestalten, die sich in den Türen spiegeln, auf den ›Aufruf‹ zu warten haben: einzutreten und endlich den Paß für die Ausreise in Empfang zu nehmen. Jenes Plakat dagegen: Betrifft: Ständige Ausreise, ganz in Dunkelblau-Weiß- und Gelbtönen, spart die ausreisewillige Person als weißen Fleck aus dem Hintergrund aus: Sprache der Trauer ohne Worte.
Und, für mich immer wieder überraschend, schon 1983, zur Zeit der atomaren Aufrüstung in beiden Teilen Deutschlands, der Runde Tisch, um den die Stühle so gruppiert sind, daß sich mir der Eindruck aufdrängte, die Gesprächspartner haben ihn verlassen; sie können und wollen nicht mehr miteinander reden. Und dieses selbe Bild wird im Oktober ’89 zu einem Plakatangebot für das »Neue Forum«: Jetzt, in der neuen gesellschaftlichen Situation, konnte auch ich in der Anordnung der Stühle ein Vorzeichen für einen möglichen Aufbruch sehen, der mit einem Dialog bisher voneinander abgewandter Partner beginnen müßte.

Martin Hoffmanns Plakatreihe stellt – auf andere Weise, als es seine übrigen Arbeiten tun – eine ›Chronik der laufenden Ereignisse‹ dar und dokumentiert sein waches politisches und soziales Gewissen. Hier arbeitet er vehement polemisch und sarkastisch gegen den Spießergrundsatz an: „Es ist, wie es ist.“ Durch die verschiedensten Stilmittel – zum Beispiel: die Reihung Dutzender von Auspuffrohren, die Abgase ausstoßen – verdichtet er Foto-Realismus zu aussagekräftiger künstlerischer Realität. Hoffmann würde sich nicht – wie manche Künstler es heutzutage tun – gegen die Bezeichnung ›Aufklärer‹ verwahren; er scheut sich nicht, für seine Plakate auch das Wort zu gebrauchen, die schlagkräftige Zeile: Was für ein Frieden wird sein? Oder, vor der Wahl in der Noch-DDR im Frühjahr 1990 ein reines Schriftplakat: Wollt ihr die totale Kopie?

Seine Beziehung zur Sprache, zur Literatur macht Martin Hoffmann nach meiner Erfahrung zum guten Partner für Autoren, wenn es zum Beispiel um Buchgestaltung, um den Entwurf für einen Buchumschlag geht. Es macht Spaß, mit ihm am Computer zu sitzen und seine Vorschläge zu diskutieren, zuzusehen, wie er auf Wünsche eingeht, wie er Entwürfe nebeneinanderstellt, Farbwerte verändert; wie er zum Beispiel, bei dem Umschlag für Störfall, eine idyllische Landschaft in eine bedrohte Landschaft verwandelt, indem er ein Raster über sie legt, das die Assoziation von giftigem »fall out« hervorruft.

Martin Hoffmanns jüngst entstandene Medea-Figur – eine aus gerissenen Papierfetzen zusammengesetzte Collage – erzeugte in mir ein freudiges Gefühl von Erkennen, ich finde dieses Blatt einen künstlerischen Glücksfall. Nicht nur die sogenannte unmittelbare Wirklichkeit, auch manche ihrer Abbildungen benutzt er als Material, indem er deren Zusammenhang zerstört, zerschneidet, zerschnippelt, um durch erneutes Zusammensetzen verborgenen oder absichtlich verdeckten Strukturen auf die Spur zu kommen.
So entstehen seine Collagen: Aus Zeitungs- und Illustriertenfotos, aus Werbeanzeigen, aus Schriftproben, die er in eine neue Ordnung stellt, sie so verfremdet und unsere durch Gewohnheit abgestumpften Augen lehrt, sie wieder zu bemerken: ihre Unsinnigkeit, ihren Aberwitz, ihre Gefährlichkeit wahrzunehmen. Oder ihre Schönheit. In meinem Arbeitszimmer hängen seit Jahren zwei Blätter, auf denen aus Buntpapier gerissene Farbflecke aneinandergesetzt sind, die ich nicht müde werde, anzusehen, und die ihre befriedende und aufhellende Wirkung auf mich nicht verfehlen.

Wie soll man beschreiben, woran man Martin Hoffmann sofort erkennt. Auffallend heben sich ja seine ­Arbeiten von den Mal- und Zeichenweisen seiner Generationsgenossen ab. Technische Merkmale sind aufzählbar, doch sie sind – daran erkennt man ja den authentischen Künstler – eben nur Mittel, nicht eines Zweckes, sondern eines Menschen, der sich in der gleichen Geste deutlich macht und zurücknimmt; der genau hinsieht und der nicht nur seinem Material, sondern auch dem, dem er es unterbreitet, gerecht werden will, bescheiden und standfest zugleich; dessen Phantasie sich an unscheinbaren Details entzünden kann, und dessen Eingriffe in die Realität behutsam anmuten, einem Respekt geschuldet gegenüber allem, was da ist.
Er stelle Fragen an die Realität, sagte er einmal. Er wolle dazu anstiften, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.

 

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