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Jan Heinke

Rede zur Eröffnung der Ausstellung Martin Hoffmann »Köpfe und Räume«
am 5. Oktober 2007 in der Galerie am Kamp Teterow

Zu Beginn einer Begegnung mit Bildern steht oft ein Rätsel: Symbole, Handlungen oder Umstände laden zum Lesen und Lösen ein. Proportionen zeigen Prioritäten, Konstellationen schaffen ein Drama, unsere Gestimmtheit folgt Farben und Kontrasten, Hände weisen dem Blick einen Weg.

In den Arbeiten von Martin Hoffmann wird keine Hand gereicht, nicht untereinander und nicht dem Betrachter. Es gibt einfach keine. Nur rätselhafte Gesichter, einzeln und allein, die aus Staub gemacht oder aus dem Staub sich zu machen scheinen. Geht man mit der Frage, WEN wir hier vor uns haben, auf sie zu, streift man unversehens eine selbstgestreute Binse: „Ein Kunstwerk gehört, sobald er es gesehen hat, dem Betrachter.“ (was Sie nicht davon abhalten soll, es auf juristisch korrektem Wege zu erwerben). Das scheint zunächst tragisch für den Autor des betreffenden Werkes und erinnert mich im Fall Martin Hoffmanns in mehrfacher Hinsicht an Borges’ Erzählung von den kreisförmigen Ruinen:
Ein Mann erklimmt den Dschungel am Ufer eines düsteren Flusses, wo er die überwucherten Reste eines dem Feuer geweihten Tempels als den Ort erwählt, seiner Tätigkeit des Träumens nachzugehen.
Er will einen Menschen in Fleisch und Blut erträumen und beginnt mit einem ganzen Kolleg teils ergebener, teils spröder Gestalten unterschiedlicher Begabung. Die tödliche Entscheidung, einen davon bestimmen zu müssen, raubt ihm die Fähigkeit des klaren Träumens, bis er, im Dschungel nach Erschöpfung suchend, dem Gott des Feuers sich offenbart. Von da an wird er nur einen Einzigen träumen. Und nur er und das Feuer werden wissen, dass dieser nicht aus Fleisch und Blut und unverletzbar ist. Er beginnt im Traum mit einem schlagenden Herzen. Nach Tagen folgen Knochen, Muskeln, Sinne, Haut und Haare, Schicht um Schicht. Bevor sein Zögling die Augen öffnen kann, legt ihn der Träumer in einer ähnlich verfallenen, weiter flussabwärts gelegenen Ruine nieder. Als beide erwachen, fliehen die Tiere um den Alten her den Wald. In unerträglicher Stille wird er vom Feuer umkreist.
Zufrieden das Ende erwartend, überlässt er sich den Flammen, doch als die Hitze ihn verzehren müsste, bleibt er entsetzt und unversehrt. Und wir als Wächter dieser Szenerie erkennen mit ihm sein Geheimnis.
 
Zurück zur Frage, wen wir hier vor uns haben. Hoffmanns Köpfe, auch wenn ihre Hände nicht zu sehen, ihre Augen nur zu ahnen sind, schauen uns an, sie MEINEN uns. Erwidern wir ihren Blick, betreten wir eine entzeitlichte Welt der Mutmaßungen, nicht ohne über eine zweite Binse zu stolpern: „Die Kunst des Werkes liegt allein in der Idee.“
Angesichts dieser Köpfe wirkt sie unzutreffend und verkümmert. Wie Hoffmann arbeitet, ist eher der Strenge und Selbstbeherrschung einer Zen-Praxis entlehnt: die Wahl der Materialien, die reduzierte Darstellung, die Klarheit seiner Entscheidungen. Auf den Zufall beim Zerreißen seines Werkstoffes folgt ein Ordnen, Improvisieren und Fixieren im Sinne einer Balance zwischen selbstbestimmtem Handeln und einem offensichtlich von Außen geleiteten, scheinbar absichtslosen Tun, das über den Willen hinausreicht. Dieselbe ernsthafte wie spielerische Präzision teilnehmenden Beobachtens, konzentrierter Abbildung und distanzierter Aussage, die Hoffmanns Bleistiftarbeiten erkennen lassen, finden wir in seinen Collagen auf das Flüchtige, Unscharfe angewandt. Die Art seiner Handgriffe ist wesentlich für Ausdruck und Verständnis seiner Bilder, sie spiegeln auf sehr eigene Weise das kulturelle Wissen unserer Tage, dadurch einladend zu verweilen, Zeit und Stille sich zu nehmen für unsere Gegenüber.
Manche sind eins mit dem Raum, in dem sie existieren, andere scharf abgegrenzt oder im Begriff, ihn zu verlassen, immer jedoch in einer Zwischenwelt des noch nicht oder gerade noch. Kommen sie aus oder verschwinden sie ins Nichts? Keine Umgebung gibt einen Hinweis auf Herkunft und Geschichte. Unbekleidet und von dünnhäutiger Offenheit gewähren sie aber einen direkten Blick in ihr Inneres, auf Spuren eines gelebten Lebens.
Ihr Ausdruck zeugt von einer unausgesprochenen, doch deutlichen Haltung, Gestimmtheit und Meinung und durchkreuzt unsere Sicherheit gegenüber dem Fiktiven.
 
Sie entlocken und zeigen im Zwiegespräch dem Betrachter seine eigenen Stimmungen und Ansichten. Sie sind ein Partner, der uns uns selbst erleben läßt. Wir offenbaren uns und dem stummen Gegenüber Teile unserer eigenen Geschichte.
Wann stehen wir einem Anderen so gegenüber? Unsere Situation gleicht einem jener sehr seltenen Momente vorgeblich wortloser Übereinkunft ebenso, wie der alltäglichen Erfahrung gänzlichen Unverständnisses trotz gleicher Sprache und Kultur.
 
Nochmals zurückgekehrt zur Frage nach dem wer, woher und wohin erleben wir vielleicht ein Hineinversetzen in den Autor: Das Erwarten einer Gestalt, die Überraschung bei deren langsamen Auftauchen, ihre Wesensveränderungen während der Arbeit, die Entscheidung über das Ende dieses Prozesses. Mög­licherweise erhalten wir so auch unsere Version des Menschen hinter all diesen Gesichtern. (Oder finden wir uns als Träumer, die einen Träumenden träumen, der Geträumte träumt, die uns als Träumer zeigen, dass wir …)

Jan Heinke ist Musiker.
www.stahlquartett.de

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