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Konrad Knebel

Rede zur Ausstellungeröffnung Martin Hoffmann
am 18. Oktober 2008 in der Galerie Mitte, Berlin, Auguststraße

Martin Hoffmann hatte im vorigen Jahr eine Ausstellung in der Greifswalder Straße. Wir hatten zu spät von ihr erfahren. Die Arbeiten aber waren noch in der Galerie und der Galerist war so freundlich, die schweren Rahmen wieder hervorzuholen. Es war ein aufregendes Erlebnis, wie ein Kopf nach dem anderen auftauchte und wie die Köpfe in ihren großen Rahmen schließlich in dichter Reihe auf dem Boden um uns herumstanden!
Obwohl sie da so dicht beieinander standen, ging von den einzelnen ein Gefühl der Einsamkeit aus, vielleicht gerade weil sie so eng beieinander standen und sich dadurch in ihrer Gegensätzlichkeit, trotz vieler Gemeinsamkeiten verstärkten. Manche sahen uns an, andere sahen an einem vorbei, irgendwohin, einige wenige schienen durch uns hindurchzusehen, fixiert auf etwas, für das ihnen die Sprache fehlte.
Ich hatte vor einiger Zeit in Pankow schon einige kleinere Blätter gesehen, die mich sehr beeindruckt hatten. Es waren die ersten Köpfe von ihm, die ich dort kennenlernte und die mich auf weitere neugierig machten. Bei den großen Formaten in der Greifswalder Straße schien die Wirkung nicht nachzulassen. Aus vielleicht spielerischen Versuchen mit dem halbdurchsichtigen Material, mit Pergamin-Papier, hatte sich für Martin Hoffmann eine neue Möglichkeit ergeben.

Zur bisherigen Arbeit, die ja weitergeht, kommt dieses neuere Betätigungsfeld hinzu. Ich möchte hier von der Vielfalt seiner Arbeit, deren Aufzählung und kurze Beschreibung allein die Länge einer Rede hätte, nur einiges in Erinnerung rufen, was mich immer besonders beschäftigt hat, vielleicht wegen seiner gewissen Nähe zu meinem Betätigungsfeld:
Es geht um seine Auseinandersetzung mit dem genormten Bauen in der DDR, die verschiedene Blätter mit Blicken auf sogenannte Fassaden, aus gestapelten Fertigteilen gebaut, es geht um die Blicke in Büroräume, Treppenhäuser, Schulräume, besonders auch um das beziehungsreiche Blatt, das er Programmierung genannt hat, das auf den ersten Blick aus einem Rechenzentrum stammen könnte. Wenn man aber entdeckt, daß anstelle von Büromöbeln damalige Schulmöbel wie in einem Klassenzimmer in zwei Reihen auf die große Apparatur hin ausgerichtet stehen, stellen sich einem merkwürdige Fragen zur Programmierung. Das Blatt stammt von 1986 / 87.
Ich denke an das Abendliche Zimmer in Fenster und Spiegelung von 1980, das sich in seinem Fenster spiegelt. Auf den zweiten Blick hin sieht man, daß in der Dunkelheit draußen die Mauer zu sehen ist. Ich denke an das Blatt das Irgendein Korridor heißt, der sich sowohl in einem Bürohaus als auch in einem Ärztehaus befinden könnte, Blätter, deren scheinbar freundliche Helligkeit vielleicht mit dazu führen konnte, daß sie, kaum angefochten, in damaligen Kunstausstellungen hängen konnten.
Sie wurden eher deswegen angefochten, weil sie der Fotografie so nahe zu stehen scheinen, was aber bei flüchtigem Blick darüber hinwegsehen ließ, was alles an ihnen u. U. im Vergleich zum Ausgangspunkt verändert worden war. – Die Offiziellen sahen diese Blätter wohl eher als eine Art Erfolgsmeldung ihres Bauens an. Aber viele sahen in ihnen durchaus die Gefahr einer einseitig durchrationalisierten Welt, deren Weiterentwicklung schneller noch über uns hinweggeht, als wir mit dem Bewußtsein folgen können. So gesehen konnte auch der Eindruck von einer kühlen, freundlichen Helligkeit in den einer gnadenlosen Helligkeit umschlagen.
Bei harmloser erscheinenden Blättern mit menschlichen Schatten auf Wänden und Böden fällt mir besonders dann, wenn ich mehrere dieser Blätter zugleich sehe, ein Traum von einem großen, hellen, fast unmöblierten Zimmer ein, in dem lebhaft und laut schallend durcheinander gesprochen wurde, ohne daß ich etwas davon verstehen konnte. Aber zu meinem Schrecken befand sich außer mir niemand in diesem Raum. Vielleicht verhält es sich mit diesen Blättern ähnlich wie in meinem Traum: Anstatt der Stimmen handelt es sich hier um Schatten.
Damals, als ich die ersten Blätter aus dieser Reihe sah, fiel mir das berühmte Foto aus Hiroshima ein. Das schien mir dann einerseits doch etwas übertrieben zu sein wegen der Alltäglichkeit der Beobachtungen, ließ sich aber nicht wegdrängen. Andererseits würde ein sogenannter Erstschlagsabwurf in einem ganz normalen Alltag einschlagen und höchstens ein paar Schatten hinterlassen. – Später aber habe ich in einem Katalog Martin Hoffmanns Hinweise darauf gefunden, daß er durchaus daran gedacht hat. – Die Unruhe über die Atomgefahr hat sich abgeschwächt. Das Bewußtsein hält solche langen Anspannungen nicht aus. Die Gefahr besteht vielleicht im Moment in Europa nicht, aber die eines großen Kraftwerksunfalls durchaus. Obwohl die Aufgeregtheit nachgelassen hat, sind die Gefahren groß.
(Im Frühjahr wurde im »Spiegel« aufgrund neuer Akteneinsichten gezeigt, wie oft wir seit 1945 in heik­len Situationen gerade noch am Ausbruch des Schlimmsten vorbeigeschrammt sind, u. a. bei einer Situation 1979 bei der der sogenannte »count down« im allerletzten Moment abgebrochen werden konnte.) – Außerdem möchte man hinzufügen: Was für eine Lawine entwickelt sich aus dem bisher letztlich ungelösten Problem der Abfall-Lagerung? Vielleicht gibt es gar keine Lösung. –

Um auf die Köpfe zurückzukommen:
Was mich schon beim ersten Sehen auch an ihnen fasziniert hat, ist, daß hier jemand, der nicht von einer mehr oder weniger üblichen Malerausbildung herkommt, auf fast spielerische Weise mit seinem Material, das noch nicht mit aus der Historie kommenden Erwartungen belastet ist, zu einem System des Umgang mit ihm findet, das eigentlich ein sehr altes Untermalungssystem ist. Es spricht für Martin Hoffmanns Offenheit, aber auch die Selbstverständlichkeit und grundsätzliche Kraft dieses Systems, das fast in Vergessenheit geraten ist, sich aber doch immer wieder anbieten wird.
Martin Hoffman nutzt es für Köpfe, um sie mit halbdurchsichtigen Papierstücken und – streifen aus dunklen Gründen allmählich herauszuentwickeln, sodaß die Partien eines Kopfes, die dem Betrachter am meisten entgegenkommen, wie z.B. Stirn, Nase, Kinn usw. auch die hellsten sind, daß es aber auch die Partien sind, wie z.B. bei Ikonen, bei denen das meiste Farbmaterial in Schichten übereinanderliegt. Bei den Köpfen hier handelt es sich eben um Papierschichten. Es entsteht in beiden Fällen ein dünnes Relief, das nicht naturalistisch gemeint ist, das aber mithilft, ohne daß es einem richtig bewußt wird, bei der Klärung der räumlichen Verhältnisse. – Das Licht fällt, wie bei den Ikonen, aus der Richtung des Betrachters ins Bild, leicht von oben kommend, sodaß sich die drei Zonen eines Gesichts durch leichte Schatten gliedern.
Ich spreche hier von Untermalungen in vereinfachender Weise. (Es gibt unendlich viel Varianten.) Indem ich aber von Untermalungen spreche, meine ich auch, daß Martin Hoffman hier gleichsam mit Papierschichten eine Art Malerei anwendet.
Die Möglichkeit einer Übermalung nutzt er nicht. Sie ist hier sicher kaum denkbar. Dadurch bleibt der noch etwas offene Eindruck erhalten, der wahrscheinlich für manche Maler der späten Renaissance typisch war, - sofern man so etwas überhaupt einmal sehen und nachvollziehen kann.
Die Köpfe erscheinen als nicht völlig greifbar. Etwas Geheimnisvolles und Traumhaftes geht von ihnen aus, manchmal etwas von Gesichtern, die nach langer Zeit aus der Erinnerung auftauchen.-
Die über die Ränder hinausgehenden Streifen und Flächen verbinden die nach vorn kommenden Köpfe mit dem Grund. Der Vergleich mit einer Spiegelung in leicht gewelltem Wasser, in den sich die Ränder miteinander ständig verzahnen, bietet sich an. Man meint in diese Blätter hineinsehen und ihre Entstehung nachvollziehen zu können. Ist das Wasser nur so tief, daß man den Grund des Wassers und seiner Farbe mit sehen kann, dann spielt diese Farbe mit, wie die Grundfarbe einer Untermalung, oder hier die großen Blätter. Sie ist dann u.U. eine erste Hilfe, die Flächen im Bild, die jeweils im Bildraum unterschiedliche Aufgaben haben, die, einfach gesagt, für Vordergrund oder Hintergrund stehen, im Zusammenhang zu halten und nicht auseinanderbrechen zu lassen.
Ich will hier die Malerei nicht als ein Abbild der Spiegelfläche darstellen, bei der man durch die Wasserfläche zugleich zum Grund hindurchsehen kann. Es gibt aber Bilder, bei denen man glaubt, bis zum Grund durchsehen zu können, deren Entstehungsweise durchsichtig bleibt, die mich immer besonders gefesselt haben.
Das Problem, die Flächen nicht auseinanderbrechen zu lassen, ist eine Aufgabe, die sich in jeder Zeit neu gestellt hat. Früher waren es oft Lösungen aus der Tradition heraus, später oft sehr persönliche Lösungen. Eine davon gibt es unter anderem hier zu sehen.
Man kann gespannt sein, wie sich Martin Hoffmans Arbeit weiterentwickelt!
Ich wünsche dieser Ausstellung viele interessierte Besucher!

 

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