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Gerhard Rein

Rede zur Eröffnung der Ausstellung »Mauern – Bausteine und Bruchstücke«
am 9. November 1999 in der Brandenburgischen Staatskanzlei, Potsdam

So weit ist es also gekommen: Martin Hoffmann in der Staatskanzlei. Mit artiger Rede des zuständigen Herrn Staatssekretärs.
Wenn das keine Revolution ist, gibt es keine. Meine Phantasie hat nicht ausgereicht, mir das vorzustellen. Auch nicht heute vor zehn Jahren, in der Nacht der Nächte, die in die Geschichtsbücher geraten ist.
Ich bin in dieser Nacht mit meinem gelben Auto, das die Herren am Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße kannten, von Westberlin nach Ostberlin gefahren. lch war der Einzige. Alle anderen wollten in die andere Richtung. Die kannte ich schon. Ein Grenzoffizier schloß das letzte noch nicht geöffnete Tor auf. Zehn Minuten später war ich am Brandenburger Tor. Zu meinen Erinnerungen dieser Nacht gehört, daß ich Martin Hoffmann im Brandenburger Tor traf. Steife, unbeholfene Umarmung, zu der nur wir fähig sind. Die Andeutung von Tränen hatte sicher mit der Wirkung von Rotkäppchen-Sekt aus Pappbechern zu tun. Wir sind ziemlich sprachlos geblieben. Was bedeutet das bloß alles? Die Mauer stand zwar noch, aber sie war nicht mehr bedrohend. Man konnte sie überwinden, ohne erschossen zu werden.
Plötzlich, in einem Augenblick, war alles einfach, was jahrzehntelang schwer drückte. Als die Malerin Bärbel Bohley von der Maueröffnung erfuhr, soll sie gesagt haben: „Nun sind sie endgültig verrückt geworden.“ Sie, das waren die Herren vom Politbüro, die Nomenklatura, die Hüter des Grals. Durch die geöffneten Mauern floß die DDR aus. Das Monstrum hatte seine Zauberkraft verloren.

Vorher war es so, achtundzwanzig Jahre lang: alle wußten, sie war da. Aber kaum jemand sprach darüber, schrieb darüber. Sie blieb in den Köpfen. Zu den ganz wenigen, wohl an einer Hand abzuzählenden Künstlern der DDR, die die Mauer nicht ausgeblendet, nicht verdrängt, sondern sie gemalt, sich mit ihr auseinandergesetzt haben, zählt Martin Hoffmann. Sein Mauer-Bild von 1980 zeigt Kälte, Härte, die schiere Unüberwindbarkeit von Mauer und Todesstreifen. Nicht Gräber in den Lüften, andere wurden hier geschaufelt.
Und ein einziges Mal noch hole ich die Erinnerung wieder hoch an eine Diskussion im Verband Bildender Künstler der DDR, in der ein Mitglied meinte, es müsse auf den Bildern doch erkennbar sein, wann sie entstanden sind, in welcher Epoche, in welchem Streit, in welcher Auseinandersetzung. Und die für mich legendäre Antwort eines Kollegen lautete: „Aber Martin, wir setzen doch unsere Namen und Jahreszahlen unter unsere Werke. Daran kann man doch ablesen, wann sie entstanden sind.“

Und nun erleben wir die Eröffnung der Mauer-Ausstellung. Auch wenn in diesen Tagen unsere Erinnerungskultur, unsere Erinnerungswut uns ganz schön strapazieren. „Wo warst Du, als Kennedy erschossen wurde, als Jürgen Sparwasser das 1:0 in Hamburg schoß …“ und vor allem und immer wieder, aber nur noch bis morgen früh: „Wo warst Du in dieser Nacht vor zehn Jahren?“
Wir holen etwas hoch, was einmal war. Das mag für Martin Hoffmann und seine Maler-Freunde und für seine Weggefährten aus dem Pankower Friedenskreis das Selbstverständliche sein. Wir sind ja, ich schließe mich da ein, ungeheuer geprägt von diesen Jahren, die mit dem Herbst 1989 nicht zu Ende gingen. Und wenn wir zusammen sind, reden wir immer nur über das eine.
Und die hochgewachsene, zarte Helene, jetzt wohl siebzehn Jahre alt, erzählt mir vor einem Jahr, daß es nur eine Sache gäbe, die sie wirklich nerve. Die Gespräche der Alten, ihrer Eltern, der Freunde der Eltern. Kein Abend, an dem nicht von der DDR die Rede wäre. Siebzehn müsste man eben sein. Aber das schaffen wir nicht mehr. Also sind wir alle wieder hier und lassen uns von Martin Hoffmann anregen, erneut den Blick zurück zu werfen.
Wir werden hoffentlich lachen über die Rituale der selbsternannten Antifaschisten, über Kerstin, die aufspringen möchte vor Freude. Wir werden lesen, daß die Schlotterbecks von den Nazis wenn nicht gemordet, dann drangsaliert wurden, und von den Stalinisten der DDR ebenso. Uns begegnet Alltagskultur, und wir staunen immer noch über den genauen Blick von Butzmann, Huber und Hoffmann in ihren selbstverlegten Plakaten.

Die Collagen-Technik Martin Hoffmanns könnte manchen verführen zu meinen, dies sei eine Kunstausstellung ohne Kunst. Von wegen. Was an, hinter, mit, durch, über und trotz Mauern assoziiert werden kann, wird, hoffe ich, erhebliche Debatten auslösen. Heute abend. Und später.
Daß, zum Beispiel, über die Mauer die Skinheads und ein Plakat von Madonna die DDR erreichten, verkennt doch, daß über die Mauer auch »Die Wahrheit« kam, von der wir alle wissen, daß das die kommunistische Zeitung gleichen Namens aus dem Westen war.
Keine Erwähnung also der Wahrheit, die über die Mauer kam, nicht einmal der Quellen der Wahrheit über den Osten. Obwohl sie zum Alltag wohl zu zählen sind. Und nur dem typisch unqualifizierten Blick des West-Korrespondenten ist es zuzuschreiben, daß er mehr als bedenklich sein altes Haupt schüttelt, wenn er sieht, daß in dem Kapitel »trotz Mauern« (von Widerstand also wird wohl die Rede sein) die SED-Reformer der letzen Sekunde, der vom September 1989, ihren Platz finden. Mein Gott, wer mit diesen Reformern sprach, sprach gleichzeitig mit der Stasi, das wissen wir doch, und was sich als Reform ausgab, war Strategie zum Machterhalt. Woher kommt nur diese nachträgliche Glorifizierung? fragt sich besorgt der natürlich gänzlich voreingenommene, ahnungslose West-Korrespondent, und er hofft, daß die Diskussion, die diese Ausstellung provozieren kann, auch ihre Initiatoren davor schützt, ihre eigene, mir so nahe, respektable Biografie in der DDR nicht nachträglich zu beschädigen.

Martin Hoffmann hat gelegentlich erklärt, er sei kein Dissident gewesen und ein Oppositioneller auch nicht. Allein Selbstbehauptung habe ihn angetrieben, sich gegen die herrschende Ideologie zu wehren. Dafür umarme ich ihn.
Es ist freilich keine Schande, in der DDR Dissident oder Oppositioneller gewesen zu sein. Wem Selbstbehauptung ausreicht, dem wünsche ich ganz viel davon. Überall und immer.

 

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